Einkaufswagen voll, Portemonnaie leer: Die verlockende Welt des Konsums

Beim alltäglichen Einkauf wird viel Psychologie eingesetzt. Produkte sind strategisch platziert, Farben gezielt gewählt - ein ausgeklügeltes Spiel des Marketings. Doch kann man diesen Tricks entgehen? In unserer Reportage gehen wir dem auf die Spur. Begleite uns auf einen einzigartigen Supermarktbesuch.

Eine Reportage von Erin Gyger und Fabian Rütschi.

Einkaufswagen. Foto: Erin Gyger (08.06.2024)

Schritt für Schritt, und wir sind da. Uns leuchten viele bunte Farben an, das Gemüse und die Früchte. Leute gehen an uns vorbei und gehen einer wichtigen Aufgabe nach: Einkäufe besorgen. Was früher noch auf einem Markt, der nur an einem Tag pro Woche stattfand, passierte, findet heute an sechs Tagen die Woche von mind. 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr statt. Im Eingang stehend scheint sich niemand für uns zu interessieren, doch wir interessieren uns dafür, wie die Leute um uns ihre Kaufentscheidungen treffen. Zu diesem Zweck haben wir Professor Michael Schulte-Mecklenbeck von der Universität Bern mit uns. Er wird uns durch unseren gesamten Besuch begleiten und uns mit Fachwissen zur Seite stehen.

Farbenfrohe Verführung: Die Macht visueller Kaufreize

Gerade beim Eingang strahlen einem die grossartigen Farben von Gemüse und Früchten an. Damit verfolgt der Supermarkt eine bestimmte Absicht. Durch die Farben wirkt die Atmosphäre einladender. Unser Experte sagt, man neigt eher dazu, noch etwas Ungesundes zu kaufen, wenn man zuvor etwas Gesundes gekauft hat. Somit kompensiert man das Gesunde mit Ungesundem.

Die wunderschönen Farben von Früchten und Beeren. Foto: Fabian Rütschi (02.04.2024)

Die vielen Farben haben aber noch andere Funktionen. Bei Verpackungen wirkt Schwarz beispielsweise veredelnd, Blau assoziiert man mit Meeresfrüchten und Fischen. Es ist aber nicht nur die Farbe, sondern auch die generelle Gestaltung von Verpackungen, die einen grossen Einfluss hat. So können beispielsweise Schriften, die wie von Hand geschrieben aussehen, den Glauben vermitteln, dass etwas handgemacht und frisch sei. Oder wenn sich Produkte an Bioproduktkäufer richten, sind Verpackungen meist naturbelassen gestaltet.

Eine ältere Dame kommt langsam auf uns zu, den Blick auf das Regal hinter uns gerichtet. Wir gehen ihr aus dem Weg und fahren fort. Wir kommen bei Plastikboxen vorbei, die mit Früchten gefüllt sind. Darauf steht in einer handschriftähnlichen Schrift: «freshly made with (Herz)». Auf uns wirken diese Boxen ansprechend und sehen lecker aus. Der Trick mit der Schrift scheint bei uns gut zu funktionieren. Dann sticht uns der Geruch von frisch-gebackenen Brot in die Nase. Mhhhh, uns läuft das Wasser im Mund zusammen.

Plastikboxen mit Früchten. Etikett mit handschriftlichem Text. Foto: Fabian Rütschi (02.04.2024)

Sind wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort, oder ist auch dieser verführende Geruch eine Strategie? Wer mag denn schon kein warmes, frisches Brot. Genau darauf zielt der Supermarkt ab. Er nutzt gezielt Gerüche, um Kunden Lust auf Produkte zu machen. Bei passendem Geruch neigen Kundinnen eher zu Impulskäufen und wollen diese Lebensmittel gleich essen. Generell ist die Atmosphäre in einem Supermarkt sehr wichtig, da sie massgebend für das Wohlfühlen des Käufers ist. Ziel des Supermarktes ist es auch, dass Kunden möglichst viel Zeit im Laden verbringen, damit sie entscheidungsmüde werden. Wichtig für den Supermarkt ist es auch, dass Kundinnen an möglichst vielen Produkten vorbeikommen. Deshalb sind essenzielle Produkte wie Fleisch, Käse oder Fisch möglichst weit auseinander platziert. Dies führt dazu, dass diese Produkte in Ecken und auf äusseren Regalen positioniert sind.

Vor uns liegt die Fisch Verkaufsabteilung. Wir sind nicht die grössten Meerestierliebhaber und ausserdem mögen wir den Fischgeruch eher weniger. Deshalb halten wir unser Gespräch an dieser Stelle kurz. Wir haben noch ein paar Abteilungen vor uns, die uns etwas mehr zusagen, wie z.B. die Süssigkeiten Abteilung. Wir richten unsere Blicke in alle Richtungen und schauen uns die zahlreichen Produkte an. Unser Experte erklärt, wie wir am besten Produktpreise vergleichen können: Auf den Preisschildern steht der Preis pro 100 Gramm. So können Kunden den Preis zweier Produkte einfach und schnell vergleichen. Ein bisschen Kopfrechnen schadet ja nie. Ausserdem sind die Produkte in einigen Regalen nach dem Preis sortiert. Meistens sind die teuersten Produkte perfekt auf Augenhöhe. Wieso denn das? Weil da die meisten Kundinnen als Erstes hinschauen, sprich, einfach geradeaus. Oben und unten lassen sich eher die günstigen Produkte erblicken, da man sich für diese bücken oder strecken muss.

Piep, piep, piep… Der Ton vom Einscannen der Produkte an der Kasse wird immer lauter in unseren Ohren. Wir spitzen die Ohren und hören, dass zusätzlich im Hintergrund leise Musik läuft. Nur, wenn man wirklich darauf achtet, bemerkt man die Musik. Mehrheitlich ist sie ruhig und langsam. Solche entspannenden Songs verlangsamen das Tempo der Kunden beim Einkaufen. So verbringen Kunden mehr Zeit im Supermarkt und fühlen sich nicht gestresst. Je mehr Zeit ein Kunde im Laden verbringt, desto mehr kann der Supermarkt verkaufen. 

Ergreife Opposition und wehr dich!

«Ich finde es super, wenn ich mir einen Einkaufszettel schreibe, dem ich folgen kann.»
Prof. Dr. Michael Schulte-Mecklenbeck

Wenn du am Schluss des Einkaufs nicht willst, dass nicht das 10-fache dessen, was du eigentlich kaufen wolltest, im Einkaufswagen liegt und gleichzeitig das Portemonnaie etwas schonen willst, gibt es einen spezifischen Trick: die Einkaufsliste. Denn wenn du dir eine solche zurechtmachst, kann sie dir dabei helfen, nur genau diejenigen Produkte zu kaufen, die du auch wirklich benötigst. Du denkst dir vielleicht, dass du Zeit sparen kannst, wenn du dir keine Einkaufsliste schreibst, doch das Gegenteil ist der Fall. Wenn du deine Liste genauso strukturierst, wie die Produkte im Laden platziert sind, vermeidest du das Zurücklaufen. Du solltest niemals zurückgehen, denn sonst fällt dir noch etwas Leckeres auf und du kannst dich nicht zurückhalten. Und sofort hast du mehr gekauft, als du eigentlich wolltest. Ausserdem ist eine Einkaufsliste praktisch, um nichts zu vergessen. Ohne Liste brauchst du definitiv mehr Zeit, als wenn du dir eine schreibst. Also nimm dir die Zeit und schreib deine eigene, perfekte Einkaufsliste!

Hast du dich schon einmal gefragt, wieso es Einkaufswagen in Supermärkten gibt? Natürlich, damit du die Sachen hineinlegen kannst, die du kaufen möchtest. Die Einkaufswagen haben ein extra grosses Volumen, damit du so viel wie möglich kaufst. Wenn du zum Beispiel nur fünf Produkte im Wagen hast, sieht es in diesem grossen Wagen nach sehr wenig aus. Dadurch tendierst du eher dazu, noch etwas Weiteres zu kaufen. Also am besten möglichst alles in den Händen tragen oder einen Korb verwenden. 

Aber auch mit dem Befolgen dieser Tipps, wirst du es wohl kaum schaffen, nicht beeinflusst zu werden. Selbst unser Experte schafft es nicht, dem zu entgehen. Sein Ansatz lautet, die Dinge aktiv wahrnehmen.

Digital oder doch lieber analog?

Bezogen auf die Zukunft ist dies eine wichtige Frage. Digitales Einkaufen unterscheidet sich vom analogen Einkaufen. Online ist das Kaufverhalten der Kundinnen anders, als wenn sie in einen Laden gehen. Online sind Kundinnen in einer Umgebung, in der sie sich wohlfühlen. Sie können ohne Stress auf dem eigenen bequemen Sofa sitzen und sich dabei Produkte anschauen. Ausserdem können sie die Preise der einzelnen Produkte bei verschiedenen Anbietern schnell und einfach vergleichen. So kann besser abgeschätzt werden, bei welchem Anbieter es höhere Qualität zu tieferen Preisen gibt. Da die Kundinnen auch nicht unter Zeitdruck oder Stress sind, können sie bessere und bewusstere Kaufentscheidungen treffen. So können zum Beispiel Impulskäufe und andere Verkaufstricks umgehen werden.

Da fragst du dich vermutlich, wieso Coop oder andere Supermärkte trotzdem online verkaufen. Laut unserem Experten ist es für grosse Händler ein recht kleiner Aufwand, Sachen online zu verkaufen und zu liefern. Denn die meisten Supermärkte haben die ganze Logistik bereits. Die Produkte müssen eigentlich nur noch zu den Käufern nach Hause geliefert werden. Jüngere Menschen sind dankbar, dass sie nach der Arbeit schnell von zu Hause aus, den Einkauf erledigen können. Ältere Menschen sind auch froh, wenn sie nicht mehr aus dem Haus müssen, da sie viel Kraft dafür aufbringen müssen. Pensionierte könnten froh darüber sein, in einem Supermarkt einkaufen zu gehen, da sie so viel freie Zeit haben und Langeweile verspüren. So ist es für Grosshändler besser, wenn sie direkt zweigleisig fahren. Sie verkaufen so mehr Produkte.

Wirst du manipuliert?

Nach all diesem Wissen, mit dem wir dich in dieser Reportage versorgt haben, stellst du dir wahrscheinlich nun die Frage, ob du im Supermarkt manipuliert wirst. Um es vorwegzunehmen, es gibt keine eindeutige Antwort. Wenn man es sich genau überlegt, will uns der Supermarkt bei Kaufentscheidungen beeinflussen. Das haben wir auch bei unserem Rundgang festgestellt. Zum Beispiel die bereits erwähnten Farben oder Gerüche werden nicht zufällig, sondern mit gezielten Überlegungen eingesetzt. Doch wie sieht das eigentlich der Experte?

«Meiner Meinung nach fängt die Manipulation dort an, wo Supermärkte versuchen, Dinge bewusst zu verschleiern.»
Prof. Dr. Michael Schulte-Mecklenbeck

Wenn wir die Definition, dass Manipulation beim Verschleiern beginnt, auf die Praxis beziehen, stellen wir fest, dass es nur wenige bis gar keine konkreten Situationen gegeben hat, bei denen wir das festgestellt haben. Nun kann man diese Schlussfolgerung aus mehreren Blickwinkeln betrachten. Vielleicht sind die Supermärkte einfach zu schlau für uns, aber wahrscheinlicher ist, dass es, zumindest laut unserer Definition, kaum Manipulation gibt. In unseren Augen benutzen Supermärkte also zwar Tricks, aber von Manipulation würden wir nicht sprechen. Ob es schlussendlich Manipulation ist oder nicht, hängt sehr stark vom Verständnis des Begriffs ab. Am besten ist es, wenn du dir selbst dazu mal ein paar Gedanken machst und das Ganze kritisch hinterfragst. Somit kannst du dir deine eigene Meinung bilden.

Von der Platzierung der einzelnen Produkte bis hin zur Farbgestaltung der Verpackungen – alles ist so gestaltet, dass deine Entscheidungen beeinflusst werden. Wirf bei deinem nächsten Einkauf einen Blick auf die kleinen Details, die dich unbewusst lenken sollen. Wenn du schlussendlich diese Tricks erkennst, kannst du probieren, bewusstere Kaufentscheidungen zu treffen. Frag dich mal bei deinem nächsten Einkauf: Merke ich etwas? 

Interviewauszug

Darf man bei solchen Tricks von Manipulation sprechen und wo würden Sie die Grenze
ziehen?

Prof. Michael Schulte-Mecklenbeck: Hmmm, einerseits sind die Tricks der
Verkaufspsychologie eine Art Manipulation, andererseits weiss der Konsument, worauf
er sich in einem Supermarkt einlässt. Meiner Meinung nach fängt die Manipulation dort
an, wo Supermärkte versuchen, Dinge bewusst zu verschleiern. In der vorher besuchten
Coop-Filiale gab es kaum Beispiele, bei denen Manipulation im Spiel war. Alles war
offensichtlich und transparent. Preisunterschiede bei Rabatten waren klar
ersichtlich. Wenn sie betrügen würden und falsche Informationen benutzen würden, dann
wäre es Manipulation. Psychologie im Allgemeinem möchte den Menschen und was in
dessen Kopf geschieht, verstehen können. Konsumentenpsychologie will herausfinden,
wie Unternehmen mehr Produkte verkaufen können. Somit liegt die
Konsumentenpsychologie etwas näher an Manipulation.

Mit welcher Einstellung gehen Sie in den Supermarkt? Werden auch Sie beeinflusst?

Prof. Michael Schulte-Mecklenbeck: Ich habe gerade eine kleine «competition» mit
meiner Frau, wer den besseren Einkaufszettel schreibt. Ich finde es super, wenn ich
mir einen Einkaufszettel schreibe, dem ich folgen kann. Wenn man in Supermärkten, vor
allem in grossen, zurücklaufen muss, ist es eigentlich das Schlimmste, was passieren
kann. Im Ikea zum Beispiel ist es ein Todesurteil, wenn man zurücklaufen muss. Da
kann man gleich aufgeben. Jedoch bin ich ein grosser Spontankäufer. Wenn ich gerade
etwas sehe, das ich gut finde, muss ich es einfachkaufen. Ausserdem gehe ich sehr
gerne einkaufen. Also ja, ich lasse mich da sicher beeinflussen.

Hintergrundwissen

Herr Prof. Dr. Michael Schulte-Mecklenbeck, der an der Universität Bern in der
Dozentur für Forschungsmethoden und Decision Science lehrt und forscht, hat uns bei
unserem Besuch im Supermarkt begleitet und ein Interview gegeben. Der Experte für
Konsumentenverhalten besitzt einen beeindruckenden Lebenslauf. Nach seinem Studium
der Psychologie promovierte er und arbeitete unter anderem im Research Center von
Nestlé. Er hat internationale Erfahrung gesammelt und an verschiedenen renommierten
Institutionen geforscht. Auf seiner Website lassen sich zusätzlich zahlreiche
Publikationen finden. Viele davon setzen sich mit Entscheidungsfindung auseinander.
Dank ihm haben wir sehr spannende Informationen erfahren, zum Beispiel, dass die
Einkaufswagen verglichen zu früher grösser sind oder, dass alle Marken für die
Platzierung ihrer Produkte in Supermärkten bezahlen. Das erklärt die Abhängigkeit der
Preise und der Höhe der Platzierung von Produkten. Es war uns eine Ehre, mit ihm
gearbeitet haben zu dürfen und wir sind ihm sehr dankbar für die Zeit, die er sich
für uns genommen hat.
Herr Prof. Dr. Michael Schulte-Mecklenbeck. Foto: Fabian Rütschi (02.04.2024)